Wenn sich in E.T.A. Hoffmanns Das fremde Kind der Hauslehrer Magister Tinte vor den Augen der Kinder "in eine große scheußliche Fliege" verwandelt, offenbart er sich sowohl den Figuren als auch dem Lesenden gegenüber als "der Gnome Pepser", der in der Heimat des titelgebenden fremden Kindes die Herrschaft zu übernehmen versucht. Dieses Motiv der Verwandlung beeinflusst jedoch nicht nur die narrative Ebene des Textes, sondern auch seine generische Zugehörigkeit zur literarischen Fantastik. Das skizzierte Verwandlungsmotiv beschränkt sich nicht allein auf Das fremde Kind oder gar Hoffmanns Œuvre, auch wenn in diesem wiederholt auf Handlungs- und Figurenebene Verwandlungen inszeniert werden: Sei es der Neffe Droßelmeiers in Nussknacker und Mausekönig, sei es der Archivarius Lindhorst in Der Goldene Topf oder auch der Wetterglashändler Coppola aus Der Sandmann. Das Motiv und seine Bedeutung lässt sich für den Bereich der Kinder- und Jugendmedien generell festmachen: In Harry Potter ist es bspw. der Vielsafttrank, der es den Figuren erlaubt, in andere Rollen zu schlüpfen. In der Herr Bello-Trilogie von Paul Maar changiert der Protagonist beständig zwischen seiner tierischen und menschlichen Gestalt, bis er schließlich als sprechender Hund endet und sich damit als intertextuell verwandelter Hund im Sinne des von Cervantes erschaffenen und von Hoffmann weitergeschriebenen Hundes Berganza offenbart. Joss Whedons Fernsehserie Buffy – The Vampire Slayer ist durchzogen von zahlreichen (fantastischen) Verwandlungen, die immer wieder als Metaphern für die mit der Adoleszenz und dem Erwachsenwerden verbundenen Komplikationen dienen.
Diese Liste, die sich beliebig fortsetzen lässt, zeigt exemplarisch, wie zentral literarische Motive als "kleinste semantische Einheit[en]" (Christine Lubkoll) für narrative Texte in Kinder- und Jugendmedien sind. Doch auch darüber hinaus lässt sich die Bedeutung von Motiven nachzeichnen: So bestimmen Matthis Kepser und Ulf Abraham Motive als "Elementarerfahrungen" , die wir "zum Verständnis unserer Kultur und unserer Existenz darin benötigen".
Trotz dieser Prominenz, welche das Motiv damit sowohl in der Kinder- und Jugendmedienwissenschaft als auch in der Literaturdidaktik besitzt, fehlt bis dato ein motivanalytisches Modell, das zum einen für die literaturwissenschaftliche Analysepraxis tragfähig, zum anderen für den Schulunterricht bzw. die didaktische Auseinandersetzung geeignet ist. Dieses Desiderat adressiert das mehrjährige Forschungsprojekt Zur Genealogie einer transmedialen Motivik der Kinder- und Jugendmedien an der Universität Bremen, in welchem ein Symposium vom 12.-14.12.2019 an der Universität Duisburg-Essen den Höhepunkt darstellte: Ziel dessen war Eruierung und Diskussion eines tragfähigen Motivbegriffs, die Erprobung des im Projekt entwickelten Analysemodells an zentralen Motiven und Motivkonstellationen sowie die Didaktisierung von Begriff und Modell für den Unterricht.
Die Tagungsergebnisse sind 2022 in einem Band im Verlag Narr-Francke-Attempto erschienen. Derzeit bereiten wir ein Lexikon kinder- und jugendliterarischer Motive vor, das im Metzler Verlag als Living Handbook und als Veröffentlichung erscheinen wird.
Programm Plakat Tagungsbericht auf KinderundJugendmedien.de
Das Forschungsfeld der Thematologie stand lange Zeit in Verruf. Als Gründe hierfür wurden – in jahrzehntelangen Debatten insbesondere der deutschsprachigen Literaturwissenschaft – begriffliche Unschärfen genannt (vor allem im internationalen Vergleich); außerdem wurde immer wieder der Vorwurf der positivistischen ‚Stoffhuberei‘ verhandelt (Beller 1970; Bisanz 1973; Frenzel 1993; Müller-Kampel 2001). In jüngerer Zeit hat sich die Bezeichnung allerdings weitgehend etabliert. Dies liegt vor allem an der zunehmenden Fokussierung auf problemorientierte Betrachtungsweisen und an einer verstärkten theoretischen Anschlussfähigkeit. Narratologische, intertextualitäts- und intermedialitätstheoretische, kulturwissenschaftliche, ikonographische und diskursgeschichtliche Ansätze machen die Auseinandersetzung mit literarischen Stoffen, Motiven und Themen spannend und fruchtbar.
Der Vortrag versucht in einem ersten Schritt eine terminologische Durchdringung des Gegenstandsbereiches auf der Grundlage der genannten Theorieansätze. Im zweiten Schritt konzentriert er sich – mit Blick auf das Tagungsthema – auf den Aspekt der 'Transmedialität' (I. Rajewsky), also eine medienübergreifende Ausprägung der Wirkungsmacht des literarischen Motivs. Gerade in der Kinder- und Jugendliteratur eignet sich das so verstandene Motiv aufgrund seiner Einprägsamkeit und relativen ikonographischen Konstanz als Orientierungsmodell und diskursbegründende Impulsfunktion. Dies soll in einem dritten Schritt am Beispiel des Freundschaftsmotivs in Romanen Erich Kästners und ihrer Verfilmungen (1950er Jahre; um 2000) aufgezeigt werden, um so nicht zuletzt auch die historische Dynamik transmedialer Motivarbeit zu verdeutlichen.
Literarische Motive werden im aktuellen literaturdidaktischen Diskurs selten ausdrücklich thematisiert. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein. Immer wieder geäußerte Kritik an einer Art Wissensblindheit der "Kompetenzorientierung" weist aber in eine Richtung, die in diesem Vortrag verfolgt werden soll: Motive in literarischen Texten überhaupt zu erkennen, zu benennen und in ihren Funktionen für ein Textganzes zu erklären, setzt nicht nur Werkkenntnis voraus, sondern darüber hinaus Vertrautheit mit einschlägigen literarischen Stoffen in verschiedenen Literaturen und Medien. Am Beispiel der jugendliterarischen Fantastik und der ihr zuzurechnenden Genres soll gezeigt werden, wie dort Stofflichkeit in ihrer narrativen Struktur in immer wiederkehrenden Motiven organisiert ist. Gerade nichtrealistische Jugendliteratur ist Genreliteratur, und Genres leben von Motiven; sie sind von ihnen durchzogen wie von Sehnen, die ihnen Kraft und Spannung verleihen. Ein Literaturunterricht, der Lernende befähigen kann Motive als hotspots des poetischen Verstehen zu erkennen und zu nutzen, muss komparatistisch und intermedial angelegt sein und bei solchen literarischen Genres und medialen Formaten ansetzen, die die Lernenden kennen und schätzen (Fantasy, Science Fiction, Dystopie, Crossover-Texte).
Allgemein ist ein Motiv die kleinste bedeutungsvolle Einheit eines literarischen Textes. Dabei ist ein Motiv, etwa der ‚Teufelspakt‘, abstrakter als der konkrete Stoff (Faust), aber konkreter als das abstrakte Thema (menschliche Verführbarkeit). Unterscheiden lassen sich Typen-, Situations-, Raum-, Zeit- und Dingmotive (vgl. Doering 2007, 514). Betrachtet man Motive indes nicht nur als ‚kleine Bedeutungseinheiten‘ und lediglich innerhalb ein und desselben Textes, öffnen sich beträchtliche literaturdidaktische Potenziale. Denn gerade in ihrer transmedialen Präsenz erweisen sich Motive nicht nur als Texteinheiten, sondern als Ausdruck anthropologischer Grundsituationen (vgl. Kurwinkel / Jakobi 2019 i. Dr.). Ausgehend von einem Aufgabenbeispiel aus den Bildungsstandards Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (BDAH 2012, 122ff.), wird gezeigt, dass das Motiv bzw. transmediale Motivik – nicht erst in der Sekundarstufe II – zur didaktischen Fundierung und Systematisierung eines Mediengrenzen überschreitenden sowie gegenstands- und subjektorientierte Ziele integrierenden Literaturunterrichts geeignet ist.
Da war ein "Märchen, das vor ihren Augen Wirklichkeit geworden war, Paradies von Licht und Geglitzer", so sinniert der Protagonist aus Astrid Lindgrens Rasmus, Pontus und der Schwertschlucker angesichts des Jahrmarkts, der in die Stadt gekommen ist und akzentuiert damit den einzigartigen Zauber, der vom Schauplatz Kirmes ausgeht.
Der Jahrmarkt zeigt sich als ein schillernder Raum, der häufig in Kinder- und Jugendmedien auftaucht. Bei phantastischen Texten fungiert der Jahrmarkt oft als Schwellenmotiv oder Umsteigplatz, somit als Tor in die sekundäre Welt. Verwandt ist es mit dem Zirkus-Motiv, das laut Metzler Symbol-Lexikon für vitalistische Ästhetik des Scheinhaften und der symbolhaften Existenz steht (Butzer, Günter/Jacob, Joachim (Hrsg): Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart: Metzle 2008, S. 437). Erstaunlich ist, dass der Jahrmarkt als Motiv und/oder Raum bislang noch nie zum Gegenstand der KJL-Forschung geworden ist.
Der Vortrag will dazu beitragen, dieses Desiderat zu schließen und untersucht ausgewählte Texte und Medien, in denen der Jahrmarkt eine zentrale Rolle spielt, auf die Funktion des Motivs hin. Anschließend werden didaktische und methodische Überlegungen zu einem Modell transmedialer Lektüre im Literaturunterricht am Beispiel des Jahrmarkt-Motivs angestellt.
Seit Monaten protestieren jugendliche Umweltschützer*innen für eine bessere Klimapolitik und damit gehören Umwelt- und Klimaschutz zu den wichtigsten Problemen der Gegenwart. Der Beitrag nähert sich diesem Problemfeld und rückt jedoch nicht die Themen in den Vordergrund, sondern die Darstellung der Akteure. Wie wurden und werden Umweltschützer*innen in kinder- und jugendliterarischen Texten dargestellt? Gibt es mit Blick auf die Veränderung von Kindheit und Jugend auch Modifizierungen des Motivs? Werden die jugendlichen Aktivist*innen in den Texten ernst genommen?
In den 1980er Jahren entsteht eine Kinderliteratur, die die kindlichen Umweltschützer*innen mit Titeln wie Das Findelkind von Watt (1980), Lasst den Uhu leben! (1985), Die sanften Riesen der Meere (1990) oder Eine Biberburg im Auwald (1986) aufklären möchte. Eine Aufklärung erfolgt bereits auf der paratextuellen Ebene: in Vor- bzw. Nachworten, Widmungen oder Motti kommen aktive und auch prominente Umweltschützer*innen zu Wort, um auf die Relevanz der Texte aufmerksam zu machen und den Leser*innen durchaus auch eine Lesart der Texte anzubieten. Seit der Jahrtausendwende sind es dann kindliche und jugendliche Akteure, die als Umweltschützer*innen auftreten, erwachsene Figuren belehren und zeigen, was man im Kontext einer nachhaltigen Lebensweise machen kann. Sie sind informiert, klagen die Erwachsenengenerationen an und ein neuer Konflikt bahnt sich an.
Der Beitrag möchte die Veränderungen im Motiv der Umweltschüzer*innen anhand einzelner literarischer Beispiele aufzeigen und dabei nicht nur inhaltlich argumentieren, sondern auch die Veränderungen auf der Ebene des discourse aufzeigen.
Mit seinem Kindermärchen Das fremde Kind (1817) hat E.T.A. Hoffmann den romantischen Kindheitsdiskurs nachhaltig beeinflusst, indem er zeitgenössische Ideen der Kindheitspsychologie, Pädagogik und Philosophie integrierte. Zugleich postulierte er in den Rahmengesprächen der Serapionsbrüder (1819/20) eine kinderliterarische Poetik, deren Innovativität lange Zeit verkannt wurde. Hierbei spielt das Motiv des "fremden Kindes" eine wesentliche Rolle, wobei "Fremdheit" in mehrfacher Hinsicht verstanden wird. Dieser Begriff bezieht sich nicht nur auf die Abgrenzung von zwei Lebensphasen (Kindheit versus Erwachsensein), sondern auch auf unterschiedliche Wahrnehmungs- und Erkenntnisweisen, die sowohl kognitive als auch ästhetische Phänomene einbeziehen.
In meinem Vortrag werde ich zeigen, inwiefern "Fremdheit" als poetisches Konzept Hoffmanns Kindermärchen bestimmt, wobei sowohl genderspezifische als auch narratologische Aspekte diskutiert werden. Die Geschlechterperspektivierung beruht dabei auf drei unterschiedlichen Kategorien, die sich durch die mehrfach gespiegelte Sichtweise auf das fremde Kind ergeben, nämlich Neutralität, Identität und Transgression. Es wird darüber hinaus veranschaulicht, dass sich diese unterschiedlichen Perspektiven einerseits durch die Gegenüberstellung von Erwachsenenblick und Kinderblick und andererseits durch wechselnde Erzählerperspektiven ergeben.
Hoffmanns Kindermärchen, das in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde, übt bis heute eine große Faszination auf die internationale Kinderliteratur aus. Deshalb werde ich abschließend anhand ausgewählter kinderliterarischer Werke aus Deutschland, England, Frankreich, Norwegen, Schweden, Spanien und den USA demonstrieren, welche Modifikationen und Modernisierungen das Motiv des fremden Kindes und das damit einhergehende Konzept der "Fremdheit" erfahren haben.
Zahlreiche Kinderfilme handeln von einer besonderen Freundschaft zwischen einem Kind und einem Tier, sei es nun ein Hund oder ein Wolf, ein Pferd oder gar ein Drache. Auch über ihre zentrale Figurenkonstellation hinaus weisen diese Filme in der Regel Gemeinsamkeiten auf: Nach eine Skizzierung der gängigen Erzählstruktur konzentriert sich dieser Vortrag auf den Moment der ersten bedeutungsvollen Begegnung zwischen Tier und Kind und dabei auf die Inszenierung der ersten Berührung und des ersten Blickkontakts. Ein Vergleich verschiedener Szenen zeigt die Ähnlichkeiten in der Darstellung (z.B. die Einbindung von Point-of-View-Shots des jeweiligen Tieres) und stellt sie als typische Motive des Genres "Tierfreundschaftsfilm" heraus.
Die Bedeutung des Motivs vom "erwiderten Blick" für das Genre wird durch Berücksichtigung der diskursiven Dimension deutlich: Ausgehend von einem Text des französischen Philosophen Jaques Derrida verweist der Vortrag darauf, wie sich das Motiv in Beziehung zur kritischen Betrachtung gesellschaftlicher Mensch-Tier-Verhältnisse setzen lässt. Damit verbunden soll auch der medialen Dimension der Motivanalyse Rechnung getragen werden, indem das selbstreflexive Moment der Blickinszenierung aufgegriffen wird.
Wie in fantastischer Literatur allgemein üblich und wie auch bei Lewis Carroll und seinem Illustrator John Tenniel wird das Motiv des Weltenwechsels in Alice ebenso in den zahlreichen filmischen Adaptionen des Stoffs besonders und je unterschiedlich eingeleitet und ausgestaltet. Dies soll bezogen auf die mediale, materielle und narrative Dimension diskutiert und diskursiv kontextualisiert werden. Dabei wird neben der text- bzw. handlungsbasierten narrativen Ebene der histoire und der visuellen Gestaltung auch die Musik berücksichtigt, da sie beim Übergang ins Wunderland in den filmischen Inszenierungen stets einen besonderen Stellenwert hat. Bezug genommen wird auf den Originaltext, die Illustrationen von Tenniel sowie ausgewählte Adaptionen als Realfilm wie als Animationsfilm, von 1903 bis 2016.
Das Spiel Life is Strange (2015) erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte über die Teenagerin Max, die, nachdem sie zeitweise bei ihren Großeltern in der Ferne gelebt hat, in ihren Heimatort zurückkehrt, um dort Fotografie zu studieren. Das Spiel handelt dabei von der komplizierten Beziehung zwischen Max und ihrer ehemals besten Freundin Chloe, deren Kontakt abgebrochen ist. Zugleich hat Max apokalyptische Träume von einem heraufziehenden Tornado, die in Verbindung zu zahlreichen verschwundenen Schülerinnen der Universität zu stehen scheinen. Als Max schließlich auf der Schultoilette Zeugin von Chloes Mord wird, kann sie unvermittelt die Zeit anhalten und um ein paar Minuten zurückdrehen, um ihre Jugendfreundin zu retten. Fortan wird es die Aufgabe der Spieler*innen sein, die neu aufkeimende Freundschaft der beiden jungen Frauen zu erkunden und dabei gleichwohl das Geheimnis der verschwunden Schülerinnen zu ergründen. Zentrales Mittel hierzu sind die kurzen Zeitreisen, die es erlauben, in meist brenzligen Situationen binäre Entscheidungsoptionen durchzuspielen, deren unmittelbare Konsequenzen zu erleben und bei Bedarf die Zeit zurückzudrehen, um eine andere Option auszuwählen. Die Analyse von Life is Strange erlaubt es dabei zum einen, die komplexe Verschachtelung von den Motiven Fotografie (Max hält Momente in Sofortbildern fest), Zeitreisen, Entscheidungssituationen und Adoleszenz im Spiel genauer in den Blick zu nehmen. Zum anderen kann dadurch aber auch eine Lücke in der narratologischen Forschung zu digitalen Spielen geschlossen werden, indem der Beitrag den Begriff des Motivs auf modellbildender Ebene als Schaltstelle zwischen syntagmatischen (z.B. Handlung) und paradigmatischen Ausprägungen (Topoi) narrativer Realisierungen positioniert.
Von Adam und Eva bis hin zu aktuellen Kinder- und Jugendmedien findet sich 'Schuld' als zentrales narratives Motiv der Mediengeschichte. Doch kann die Schuld und der Umgang mit ihr auf narrativer Ebene zwar rezipiert, aber nicht mitgefühlt werden; setzt das Schuldgefühl doch die eigene Missetat als Auslöser voraus. Für die empathischen Rezipienten verbleibt das aus der Identifikation erwachsene Mitleid als begleitende Emotion, eigenes Schuldgefühl können sie nicht entwickeln.
Narrative Computerspiele als interaktive Medien veranlassen ihre Rezipienten, selbst an der Narration mitzuwirken und sich immersiv mit den Protagonist*innen auseinanderzusetzen. Die Handlungen der Spieler*innen werden zu den Handlungen der Figuren und konfrontiert die Rezipienten im Verlauf des Spiels mit den Folgen der von ihnen ausgelösten Handlungen.
Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wie das transmediale Motiv 'Schuld' einen Weg in das Spiel hinein und zugleich heraus in den Kopf der Rezipient*innen gefunden hat. An konkreten Beispielen wird gezeigt, welche narrativen und ludischen Techniken und Strategien hierzu angewendet werden.
In Benoît Sicats theatraler Inszenierung Le jardin du possible verschmelzen Zuschauer- und Aufführungsraum zu einer sich gegenseitig bedingenden Einheit. In einer von einem Gärtner gepflegten künstlichen Gartenlandschaft können die Besucherinnen sich hinsetzen und dem Treiben zusehen, aber auch selbst mit den vorhandenen organischen Materialien an der Gartengestaltung mitarbeiten. Das (kindliche) Publikum wird hier nicht nur Teil der Aufführung als bloße Zuschauende, sondern bringt diese als Mitwirkende erst hervor (vgl. ausführlich Heinemann 2016, 9-11). Der spielerische als-ob-Modus, Bestandteil jeglicher Theatererfahrung und -darbietung, erweitert sich bei Sicat zum Spiel als Motiv, das integral ist für die Hervorbringung der Aufführung, verstanden als "im weitesten Sinne kleinste strukturbildende und bedeutungsvolle Einheit innerhalb eines Textganzen" (Lubkoll 2008, 515). Der Spielraum des Theaters wird "Spiel-Raum" (Hentschel 2016, 26). Damit einher geht bei Sicat allerdings die Auflösung dramaturgischer Strukturen, wird doch keine Geschichte erzählt, sondern ein spielerisch strukturierter, non-narrativer Erfahrungsraum konstruiert.
Narrativ eingebettet ist das Spiel-Motiv hingegen in Michael Endes Märchenroman Momo, wird hier doch die Verbindung zwischen Theater, Kind und Spiel in literarischer Form verarbeitet: Die titelgebende Protagonistin zeichnet sich nicht nur durch ihre Fähigkeiten als Zuhörerin aus, sondern auch durch ihr Talent zum freien Spiel im Rund des alten Amphitheaters, in dem sie zuhause ist und mit den Kindern des Dorfes spielt. Das Theater wird hier buchstäblich zum Spiel- und Imaginations-Raum fiktionaler Figuren. Dieses freie, aus der kindlichen Einbildungskraft erwachsende Spiel wird in Momo kontrastiert durch das von Nutzungsvorgaben eingegrenzte Regelspiel mit der Spielzeugpuppe "Bibigirl", das es den Kinderfiguren geradezu verunmöglicht, im Spiel als solchem einzutauchen.
Der Vortrag lotet im Spannungsfeld dieser beiden Beispiele aus transmedialer Perspektive die Transformationen des Spiel-Motivs in Theater und Literatur aus – die Möglichkeit, das Spiel nicht nur als Wahrnehmungsmodus, sondern als Motiv spezifisch des Kindertheaters einerseits, als Motiv des Erzählens vom kindlichen Spiel anderseits zu begreifen.
Ausgehend von der Typologie labyrinthischer Formen nach Umberto Eco reflektiert der Beitrag ausgewählte transmediale Labyrinth-Inszenierungen in Buch, Spiel und Film. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Differenzierungen, die sich für die motivischen Dimensionen zwischen physisch-dinglichen sowie virtuellen Darstellungen ergeben.
Das lokale Motiv des Labyrinths inszeniert grundlegend transmediale Handlungsräume, deren Topographie und metaphorische Eigenschaften vielfältige Erfahrungshorizonte anbieten. Neben der Möglichkeit, an tradierte kulturhistorische Narrative anzuknüpfen, ist es der Faktor des Spielerischen des Motiv, der es erlaubt, Entwicklungs- und Erlebnisvoraussetzungen von Kindern und Jugendlichen insbesondere zu adressieren. Hiervon ausgehend stellt der Beitrag schließlich Überlegungen zu methodisch-didaktischen Arrangements an.
Für die Herausbildung des Coming-of-Age-Horrors, der Kombination aus Adoleszenz- und Gruselgeschichten, spielte der Werwolf eine konstitutive Rolle. Dennoch beschränkt sich seine Bedeutung nicht auf die naheliegende Analogie des Werwolf-Fluchs zur Pubertät. Transmedial hat sich vielmehr eine große Vielfalt von Bezügen ausdifferenziert, wobei den Kinder- und Jugendmedien für die Tradierung und Variation des Motivs eine substantielle Rolle zukommt. Stets aber stellt die Verwandlung in einen Wolf die medienspezifische Gestaltung vor eine reizvolle Herausforderung. So ist der Werwolf (und nicht zuletzt die Werwölfin) nicht nur ein Grenzgänger zwischen Mensch und Tier, sondern markiert auch die Grenzen des technisch wie auch des altersgemäß Darstellbaren. In diesem Vortrag soll sein Potential für die Verwandlung von Medium wie Rezipient in das bleiche Licht des Vollmonds gerückt werden.